Eigentlich hatte ich nicht vor, eine Rezension über ein Willie-Nelson-Album zu verfassen, doch dann hörte ich auf meiner bevorzugten (Internet-)Radiostation «What is this Thing Called Love», das Willie Nelson zusammen mit Nora Jones interpretiert, und wollte mehr wissen.
Die Suche via Startseite führte mich von der Jazz24-Playlist über AllMusic zu Youtube und dann zu Qobuz – und löste schliesslich diesen Artikel aus.
Willie Nelson
Geboren am 29. April 1933 in Abbot (TX) durchlebte Willie Nelson eine komplexe Kindheit und Jugendzeit: Zusammen mit seiner Schwester lebte er bei seinen Grosseltern, nachdem beide Elternteile ihre eigenen Wege gingen und die Kinder zurückliessen.
Mit sechs Jahren erhielt Willie von seinem Grossvater eine Gitarre geschenkt, und dieser zeigte ihm ein paar Akkorde und brachte ihm die Grundlagen bei. Mit sieben schrieb Willie seinen ersten Song und mit neun spielte er Gitarre bei der Bohemian Polka Band, einer lokalen Gruppe. Ab seinem 13. Lebensjahr verdiente er etwas Geld mit Auftritten als Sänger/Gitarrist in regionalen Tanzlokalen und Restaurants.
Nach der High School begann ein Leben, dessen Einzelheiten genügend Stoff für mehrere Bücher und Hollywood-Streifen geben würden. Und da die diversen Quellen von da an sowohl zeitlich als auch in vielen Details nicht mehr übereinstimmen (und ich keine «fake news» verbreiten will), verzichte ich auf weitere Details aus Willie Nelsons Leben. Interessierte können sich in die insgesamt neun Autobiografien vertiefen, die Nelson – oft zusammen mit Co-Autoren – seit 1988 veröffentlicht hat.
Willie Nelsons Musik
Wer Willie Nelsons Musik mit Country gleichsetzt, macht sich die Sache zu einfach. Natürlich hat er viele Wurzeln in der Country-Musik, doch seine Jahre als Radio-DJ in Oregon haben ihn ebenso beeinflusst wie diejenigen in Houston und Austin (TX) sowie Nashville (TN). Von Kennern wird sein Musikstil als eine Mischung aus Country, Jazz, Pop, Blues, Rock und Folk bezeichnet.
Typischer als sein Stil ist Nelsons Stimme, die man aus hunderten sofort heraushört. Da dies eine extrem persönliche Stimme ist, wird sie nicht von allen geschätzt. Doch das gilt ja nicht nur für Stimmen, sondern auch für Musik allgemein, für Kunst, Essen, Gewohnheiten … eigentlich für alles.
«My Way» (the song)
Nein, dieser Song stammt nicht von Frank Sinatra. Er hat ihn zwar in dieser Form als erster Interpret erfolgreich gemacht, der englische Text wurde auch für Sinatra geschrieben … doch alles der Reihe nach:
1967 komponierte der Franzose Jacques Revaux das Lied, das kurz darauf von Hervé Vilard aufgenommen wurde. Der Komponist war von dieser Interpretation nicht eben begeistert und kontaktierte Claude François, damals DIE Pop-Ikone in Frankreich. Dieser sollte das Lied neu interpretieren. François willigte ein, wollte jedoch den Text umschreiben und weitere Strophen hinzufügen. Das Resultat war ein Hit mit dem Titel «Comme d’habitude» und war kurz nach seinem Erscheinen Tag und Nacht auf allen Radiostationen in Frankreich zu hören.
Paul Anka, erfolgreicher kanadischer Sänger mit (damaligem) Zweitwohnsitz in Las Vegas, gerade im Urlaub in Südfrankreich, war dermassen angetan von diesem Lied, dass er nach Paris fuhr und bei den Urhebern die Rechte für eine englische Version erwarb.
Anka schrieb die englischen Lyrics mit Sinatra im Hinterkopf, benütze Ausdrücke, die typisch waren für Sinatra in der «Rat Pack»-Zeit. Am 30. Dezember 1968 nahm Frank Sinatra den Song «My Way» auf, der in Kürze zu seinem «Signature Song» wurde und sämtliche Hitparaden stürmte. Nur Elvis war noch erfolgreicher mit seiner Interpretation von «My Way».
Laut Sinatras Tochter Tina begann ihr Vater jedoch bald den Song zu hassen, da er ihn nicht mehr loswurde. Auch für mich ist dieser Song nicht mehr ein Highlight.
Und wussten Sie, dass «My Way» der weltweit meistgespielte Song an Beerdigungs- und Abdankungszeremonien ist?
Neben Claude François, Frank Sinatra und Elvis Presley gibt es unzählige Interpretationen dieses Liedes, in vielen weiteren Sprachen und von bekannten und weniger bekannten Sängerinnen und Sängern (Youtube ist voll davon). Und nun gibt es also auch von Willie Nelson eine Version von «My Way» – und sogar ein Album mit diesem Namen.
«My Way» (das Willie-Nelson-Album)
Gleich vorweg: Die Rhythm Section swingt superb, alle Musiker sind absolute Spitze und unterstützen den Altstar in jedem Takt dieses Albums. Die Arrangements der Kleinformationen sind geschmackvoll und in keiner Weise überladen. Die Bläser- und Streicherarrangements erinnern mich eher an die 60er-Jahre, haben nicht den «modernen Touch» vieler neuerer Produktionen und geben dem Album eine gewisse Patina.
Und im Gegensatz zu vielen anderen Sinatra-Coverversionen: Willie Nelson gelingt es, die bekannten Stücke auf seine ganz persönliche Art neu zu interpretieren. Gerade bei «One for My Baby» gefällt mir die neue Umsetzung mit der Harmonika und den Streichern besonders, vor allem auch, weil die Mischung der Instrumente dermassen gekonnt erfolgte, die Streicher nie schwülstig wirken und deren aufkeimende Süsse mit Steelguitar- und Gitarren-Einwürfen und Nelsons trockener Stimme im Keime erstickt wird.
Fazit
Natürlich hat es, wie auf jedem Album, Stücke, die einen schneller ansprechen als andere. Doch wer Willie Nelsons Stimme mag, wird die vielseitige Auswahl, die diversen Überraschungen und vor allem Willies ungekünstelte, von jahrzehntelanger Erfahrung geprägte Art, Bekanntes auf seine eigene Weise zu interpretieren, geniessen.