Die VOTT müsste eigentlich «Voice of the Movie Theatre» heissen, denn für Kinosäle wurde sie konzipiert. Das Kino war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine völlig neue Form von Theater und wurde rasch sehr populär. In dieser Zeit entstanden auch die eigentlichen Kinopaläste, prunkvolle, dem Theater und der Oper nachempfundene Gebäude mit bis über 2000 Sitzplätzen. Bis Ende der 1920er-Jahre wurden nur Stummfilme gezeigt, doch nach der erstmaligen Vorführung eines Tonfilms («The Jazz Singer») im Jahre 1927 wurde der Stummfilm rasch verdrängt. Die grosse Zeit der Kinos endete schliesslich in den 1950er-Jahren mit dem Aufkommen des Fernsehens. Heute dominieren Multiplex-Kinos mit aufwändigem Mehrkanalton.
Kinos als Hort für Innovationen
Entwicklungen im Kino waren immer Innovationstreiber und schon während der Stummfilmzeit war der synchron abgespielte Ton ein Thema. Es gab zahlreiche Erfindungen wie das Chronophon mit synchron arbeitenden Plattenspielern, das Kinetophon von Edison und andere. Mit dem Tonfilm folgte eine neue Entwicklung, und ein Meilenstein, aber auch ein finanzielles Abenteuer war der Zeichentrickfilm «Fantasia», mit dem Walt Disney bereits 1940 den ersten Mehrkanalton in die Kinos brachte.
Die andere bedeutende audiotechnische Errungenschaft war der Rundfunk. Er befeuerte das Hören von Musik, Information und Unterhaltung zuhause und konkurrenzierte die Kinos, so wie später auch das Fernsehen. Die Kinos mussten sich also anstrengen, um attraktiv zu bleiben. Ein Schlüssel war die Entwicklung eines guten Tons zum Film, um ein besonderes Erlebnis bieten zu können. Die Bell Labs gründeten dazu Mitte der 20er-Jahre die Abteilung «Western Electric Co.». Mit den negativen Folgen der grossen Wirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre kämpfte aber bald die gesamte Industrie – und Western Electric löste ihre Abteilung für Service und Unterhalt von Kinos auf.
Gründung von Altec (Lansing)
Dies sah der junge Ingenieur, Alvis A. Ward, als Chance, um dieses Geschäft von Western Electric weiterzuführen. Er gründete mit anderen Willigen die Firma Altec (für «all technical»). Der Firma, die mit knapp 300 Angestellten startete, gab man wenig Kredit, doch die Mitarbeiter, darunter die Erfahrensten in der Audioindustrie, waren deren Kapital. Um überleben zu können, reichte aber das Service-Geschäft nicht aus, und man wollte mit selbst produzierten Geräten den Umsatz aufbessern. Es bot sich 1941 die Chance, für kleines Geld die fast bankrotte Firma «Lansing Manufacturing Co.» zu kaufen, welche herausragende Lautsprecher herstellte.
Auf deren Gehaltsliste befanden sich gerade mal 25 Leute. Die finanziellen Schwierigkeiten von Lansing begannen 1939, weil Ken Decker, der Geschäftspartner von Gründer James Martini, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Seinen späteren Namen Lansing erwarb Martini übrigens von seiner Frau und nannte sich fortan James B. Lansing. Er arbeitete noch bis 1946 bei Altec Lansing, bevor er wieder eine eigene Firma gründete, die er nach Namensstreitigkeiten schliesslich «James B. Lansing Incorporated» nannte, später abgekürzt «JBL». Doch schon drei Jahre später starb Lansing tragisch. Aber seine Firma zählt noch heute zu den ganz grossen Audio-Brands.
Den Wachstumspfad von Altec Lansing konnte schliesslich auch der Zweite Weltkrieg nicht beschneiden, da der umtriebige Alvis A. Ward in die Produktion von Gütern für die Navy einstieg. Eine Zusammenarbeit ergab sich auch mit der Firma GSI, aus der später Texas Instruments wurde. Jedenfalls waren die Kriegsjahre innovationsfördernd, denn man baute das Know-how auf, womit nach dem Krieg die Technologien für elektrische Verstärkungen vorangetrieben wurden.
Ein neuer Markt öffnete sich im PA-Bereich, mit grossen Installationen in Auditorien, Kirchen und grossen Versammlungen, aber natürlich auch in Kinos. Altec war in allen Bereichen der Elektroakustik führend und damit auch diversifiziert: Beschallungstechnik, Mikrofone, Lautsprecher, Studiotechnik in Radiostudios und später Tonstudios. Auch zum Militär behielt man Kontakt. Mit dem rasch steigenden Qualitätsanspruch wurden neue Produkte entwickelt, darunter die berühmte Altec «Voice of the Theatre», VOTT, welche 1945 als A2- und A4-Version erstmals vorgestellt wurde.
Shearer Horn – der VOTT-Vorgänger
James Lansing und John Hilliard sind die beiden Köpfe, die mit ihren Innovationen den Markt für Kinolautsprecher in den USA während über zwei Dekaden abdeckten. Währenddem Lansing für die spätere VOTT verantwortlich war, hat John Hilliard in Lansings vorheriger Firma massgeblich das Shearer Horn entwickelt. Dieses löste die bis in die 30er-Jahre dominierenden Konstruktionen von Western Electric ab und wurde quasi Industriestandard. Den Namen lieferte Doug Shearer, der damalige Abteilungsleiter für Ton beim Filmriesen MGM (Metro Goldwyn Mayer, gegründet 1924). John Hilliard, der in dieser Abteilung arbeitete, kontaktierte 1933 Western Electric mit Überlegungen, wie die Wiedergabe der damaligen Konstruktionen zu verbessern sei und regte ein neues Modell an.
Daraus entstand mit Unterstützung von Lansing schliesslich das Shearer Horn, das erstmals den Multicell-Mittelhochtöner mit Kompressionstreiber einsetzte, der später auch zum Markenzeichen der VOTT wurde. Dieser thronte über einer massigen Basskonstruktion, bestehend aus 15-Zoll-Chassis, die nach hinten offen auf eine gefaltete Schallwand montiert wurden. Das Horn wurde vorerst exklusiv an die MGM-Kinos geliefert, doch Lansing griff die Konstruktion auf und produzierte sie unter dem Namen Shearer Horn in seiner Firma und erreichte einen sehr hohen Marktanteil. Davon profitierte später Altec mit dem Kauf der Firma Lansing.
Die VOTT
Das Shearer Horn hatte deutliche Schwächen, etwa den grossen Zeitversatz zwischen Hochtöner und Basslautsprecher sowie die rückwärtig offene Bauweise. Dadurch war unterhalb 100 Hz nur noch wenig Energie vorhanden. Der Frequenzgang im Grundton war zudem unausgewogen. Bei Altec nahm man sich dem Problem an und veränderte die Basskonstruktion grundlegend. Die Bässe arbeiteten fortan frontal auf eine echte Hornkonstruktion und wurden nach hinten in einem Gehäuse abgeschlossen, das als Bassreflexkonstruktion konzipiert wurde. Damit gewann man eine Oktave im Frequenzbereich gegen unten und der Bass rückte näher in dieselbe akustische Ebene wie der Hochtöner, der auf das Hochtonhorn arbeitete.
Natürlich hatte man damals noch nicht die theoretischen Grundlagen von Thiele und Small zur Verfügung, mit denen später Bassreflex-Gehäuse berechnet werden konnten. Aber ein Fortschritt war dies trotzdem. Die Chassis wurden ebenfalls grundlegend überarbeitet. So konnte auch deren Empfindlichkeit zwischen 2 und 8 dB gesteigert werden. Die Gehäuse wurden auch sorgfältig versteift. Das Design war so überlegen, dass es in kurzer Zeit bis in die 50er-Jahre faktisch eine Monopolstellung in den US-Kinos hatte und von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences 1955 als Standard festgelegt wurde. Diverse Grössen wurden angeboten als A2- und A4-Version. Später kamen die kleineren Modelle A5, A7, A8 für kleinere Kinos dazu. Die VOTT wurde bis in die 90er-Jahre weitergebaut.
Die Chassis hatten in der Frühzeit bis Mitte der 40er-ahre noch keine Permanentmagnete, sondern waren mit Feldspulen ausgestattet, um das Magnetfeld zu erzeugen. Alnico-Magnete lösten dann diese aufwändige Bauweise ab und wurden in den 70er-Jahren durch die noch heute üblichen Ferritmagnete ersetzt. Die Übergangsfrequenz zwischen Bass und Mittelhochton-Horn lag bei allen Konstruktionen je nach Horntyp bei 500 oder 800 Hz. Die Frequenzweiche bestand aus einem einfachen Filter erster Ordnung (6 dB/Oktave) mit einer Spule vor dem Tieftöner und einem Kondensator vor dem Mittelhochtöner.
Die VOTT A7 im Klangschloss
Die ausgestellte VOTT basiert auf dem Modell A7, hat jedoch zusätzlich noch einen «Bullet Tweeter», ein aufgesetztes Hochtonhorn, um die obersten Frequenzen noch besser wiederzugeben. Dieses Detail war bei den früheren Kinolautsprechern nicht vorhanden. Weil das 4-Zellen-Radialhorn dieser VOTT bei tiefen 500 Hz getrennt wird, kann es im Hochton nicht bis 20 kHz übertragen. Für HiFi-Anwendungen ist deshalb die Kombination mit einem Tweeter oberhalb 10 kHz vorteilhaft. Üblicherweise wurde im Modell A7 das Horn verwendet, das bei 800 Hz getrennt wird, wodurch der Tweeter nicht notwendig ist.
In Foren findet man epische Diskussionen, welches Horn welche Vor- und Nachteile hat, dito für die unterschiedlichen Basschassis und Kompressionstreiber. Die seitlichen Flügel waren bei allen VOTT-Konstruktionen üblich, um die Tieftonwiedergabe durch die grössere Schallwand zu erweitern. Bei dem Modell A7 kann man diese für eine bessere Wohnraumintegration einklappen.
Auffällig ist die schöne Schreinerarbeit des ausgestellten Modells, denn die klassischen VOTT waren meist mausgraue Kisten. Ausgeführt wurde sie von einem Schreinerlehrling im Rahmen seiner Abschlussarbeit! Es handelt sich somit um einen exakten Nachbau entsprechend den originalen Plänen.
Weil auch die A7 für Kinos entwickelt wurde, sind die Lautsprecher für grössere Hördistanzen ausgelegt. Die Abstrahlung ist eher breit in der Horizontalen und gerichtet in der Vertikalen. Der Abstand von Bass zu Horn fällt bei grösseren Hördistanzen auch kaum noch ins Gewicht. Im Schloss kann sich jeder davon überzeugen.
Noch heute lassen sich viele HiFi-Hörer von der VOTT faszinieren, und auf einschlägigen Seiten findet man ohne Mühe gebrauchte Lautsprecher, insbesondere das Modell A7, zu überschaubaren Preisen. Die Faszination dieser Lautsprecher bis heute hat mit einem Mangel der damaligen Zeit zu tun. Verstärkerleistung war teuer und limitiert. Deshalb musste man extrem effiziente Lautsprecher bauen, um auch grosse Säle adäquat beschallen zu können. Heute ist dies genau umgekehrt, die Verstärkerleistung ist hoch, die Effizienz aber niedrig. Der Nebeneffekt der hohen Effizienz ist jedoch eine besondere Klangcharakteristik, nämlich eine dynamische, lebendige Wiedergabe, wodurch sich das berühmte «Live-Feeling» einstellt. Auch ist die Kombination mit Röhrenverstärkern beliebt, da mit wenigen Watt ohrenbetäubend laut gehört werden kann – so wie früher im Kino!
Quellenverzeichnis
Ich nutzte hauptsächlich Informationen aus der sehr reichhaltigen Webseite audioheritage.org, welche die Aspekte der Tätigkeit und des Erbes von James B. Lansing umfassend behandelt. Es enthält insbesondere auch die gesamte Firmengeschichte von JBL. Der Artikel ist zeitgleich in der aktuellen Ausgabe der Vereinszeitschrift der AAA erschienen.
Gratiseintritt ins Klangschloss für AAA-Mitglieder
Seit über 30 Jahren fördert die Analogue Audio Association die analoge Musikwiedergabe und organisiert im Klangschloss seit vielen Jahren die beliebte Schallplattenbörse. Dank der neuen Räumlichkeiten im Landenberghaus betreibt sie in einem eigenen Raum das Analog-Bistro, das dieses Jahr an die Einrichtung von japanischen Jazz-Kissas angelehnt ist. Da passt diese Vintage-Legende wunderbar rein. Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, dem AAA-DJ eigene Schallplatten zu bringen, die er dann auflegt.
Vereinsmitglieder erhalten jedes Jahr drei attraktive Zeitschriften mit viel Musik- und Technikbeiträgen sowie zusätzlich die drei Zeitschriften des deutschen Schwestervereins. Weiter organisiert der Verein attraktive Veranstaltungen mit Besuchen von Firmen, Institutionen und Musiklokalen. Der Besuch im Klangschloss ist für Mitglieder kostenlos.
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