Ich begann mich so um 2008 für Musikserver zu interessieren. Von Streaming war damals noch nicht die Rede, sondern von digitaler Speicherung von CDs und ersten Downloads in respektabler Qualität. Es gab drei mir bekannte Hersteller, die bereits sehr fortgeschritten schienen: Sooloos von Meridian (später Roon), Linn und Naim. Erstaunlich, dass alle drei Hersteller aus dem Vereinigten Königreich stammten. Naim stellte erste Geräte vor, mit denen man CDs ganz einfach auf eingebauten Festplatten speichern und sichern konnte, gepaart mit einem für damalige Verhältnisse, komfortablen User Interface und einem sehr hübschen Display auf der Gerätefront. Der Preis schreckte mich ab – und auch die Erkenntnis, dass die Entwicklung der Musikserver noch in den Baby-Schuhen steckte.
Ich war zwar kein grosser Fan vom Naim-System-Konzept, charakterisiert durch viele Komponenten und Varianten, mit Upgrade-Möglichkeiten wohin das Auge blickte und einer seltsam entrückten Philosophie bezüglich Audio-Steckverbindern und Kabeln. Später musste ich mir selbst eingestehen, dass DIN-Stecker wirklich sehr gut sein können und dass Naim-Anlagen mit ihren eigenen Kabeln eigentlich immer den besten Klang hervorbrachten. Am meisten überraschte mich aber 2008, dass ausgerechnet Naim mit Musikservern so entschlossen an die Front preschte.
Lang ist's her und die Pioniere bekamen sehr schnell Gesellschaft. Naim blieb über die ganze Zeit linientreu und brachte es trotz Gegenwind fertig, eine glaubwürdige Geräte-Palette vom All-in-One-Gerät bis zum Mehrkomponentensystem klassischen Zuschnitts zu realisieren. Und alles präsentiert sich wie aus einem Guss. Nicht zuletzt dank der wohl konsequentesten Design-Philosophie aller High-End-Audio-Hersteller.
Mit dem Naim Uniti Atom schliesst Naim eine Lücke zwischen Mu-so-Kompaktgerät (2nd Generation) und den Uniti-All-in-One Playern. Einerseits preislich (Uniti Atom kostet knapp die Hälfte der grösseren Unitis), andererseits liefert er mit 40 Watt Stereo etwas weniger Power, aber genug für sehr viele Anwendungen. Damit wird Naim mit dem Atom recht erschwinglich.
Funktionsumfang
Der beeindruckende Funktionsumfang ist wie vieles mehr auf der Webseite von Naim sehr ausführlich beschrieben. Wir beschränken uns auf eine Zusammenfassung. Gespeicherte Musik – das gibt es ja noch – steht von externen Speichermedien zur Verfügung, z. B. von USB-Festplatten oder einem NAS via UPnP (Universal plug & play). Eine interne Festplatte steht nicht zur Verfügung. USB-Speichermedien können an zwei USB-Ports angeschlossen werden. Davon befindet sich ein Port auf der Geräterückseite und ein weiterer Port auf der Frontseite. Letzterer ist sehr einfach zugänglich und dürfte sinngemäss eher für USB-Sticks verwendet werden, die man öfters wechselt.
Die Streamingdienste Tidal, Qobuz und Spotify und die Radio-Applikation «Webradio» sind im eigenen User Interface von Naim integriert. Weitere Streamingdienste und Lieferanten von Musik, mit oder ohne Bild, können mittels Google Cast – also Chromecast integriert – Airplay (Apple) oder Bluetooth aptX HD angezapft werden. Die Schnittstellen zu Smartgeräten sind somit umfassend.
TV/AV-Geräte können mit HDMI ARC angeschlossen werden. Das vereinfacht die Bedienung des Uniti Atom mit den Fernbedienungen der TV/AV-Geräte. Wenn man Roon als Medienoberfläche nutzt oder sogar bevorzugt bzw. ergänzend nutzt, dann dient der Uniti Arc als Roon Endpoint. Der Uniti Atom kann als Teil eines Naim-Multiroom-Systems eingesetzt werden oder auch als Teil eines Roon-Multiroom-Systems oder jenes von Chromecast usw.
Ferner stehen drei Digitaleingänge und ein Analogeingang zur Verfügung sowie ein Vorverstärkerausgang, der z. B. für den Subwoofer oder für eine potentere Endstufe genutzt wird. Der Uniti verfügt über eine Stereo-Verstärkerleistung von 2 x 40 Watt. Man muss das aber relativieren: Das stattliche Gewicht des kompakten Geräts (7 kg) kommt von einem überdimensionierten Ringkerntrafo. Die Stromversorgung dürfte in der Lage sein, hohe Impulsströme zu liefern.
Der Kopfhörerausgang ist eine 3.5-mm-Jack-Buchse, dabei verwendet man in der heimischen guten Stube doch eher die grossen Kopfhörer mit den «grossen» Steckern. Zum Glück gibt es für beide Grössen Adapter. Ich hätte die 6.3-mm-Buchse gewählt und einen 3.5-mm-Adapter beigepackt.
Bedienung
Der Uniti Atom wird vorzugsweise mit der ausgezeichneten Naim-App bedient. Sie ist sehr gut gemacht und wurde letztens noch deutlich verbessert. Das User Interface von Naim ist einfach, logisch, nie irreführend und intuitiv. Es ist grafisch ausgezeichnet realisiert und gehört zum Besten, das ich je zu Gesicht bekam.
Die Fernbedienung ist ebenfalls ausgezeichnet, denn immer öfter ist eine Fernbedienung nur noch Beipack-Alibi, bei dem sich nicht mal der Batteriewechsel lohnt. Die Naim-Fernbedienung erlaubt sehr viele Bedienungsmöglichkeiten und synchronisiert auch mit App und Gerät bei der Lautstärke. Die Lautstärke wird auf der Fernbedienung synchron angezeigt.
Der Lautstärkeregler auf der Oberseite des Uniti Atom ist ein Hingucker und die Glasscheibe an der Front, vor dem wunderschönen Display, reagiert bereits bei Annäherung. Dazu gibt es auf der Glasfront noch vier taktile Tasten z. B. für Play/Pause und Umschaltung der Quellen.
Die Verarbeitung ist «naim like» ausgezeichnet, stabil und sehr elegant.
Naim eben ...
Naim wäre nicht Naim, wenn ein paar Dinge nicht etwas eigentümlich daherkämen. Die Lautsprecherkabel sollten minimal 3 Meter lang sein, pro Seite. Das findet man nicht in der Beschreibung, aber der Fachhändler wird es Ihnen mitteilen. Grund ist ein Zobel-Filter oder Zobel-Glied zur Impedanzkontrolle.
Die Lautsprecheranschlüsse fordern Bananenstecker. Kabelschuhe mag man bei Naim nicht. Entgegen dem angebrachten Sicherheitshinweis dürfen Sie Ihre eigenen Bananenstecker natürlich verwenden. Sicherheitshinweise sind manchmal etwas weltfremd. Die beigepackten Banana-Adpapter, die man gemäss dem irreführenden Sicherheitshinweis verwenden sollte, sind aus meiner Sicht wertlos. Wer mir demonstrieren kann, wie man da sicher und stabil ein Litzenkabel befestigt, dem spendiere ich ein Bier.
Der IEC-Stecker der Stromzuführung wackelt. Das ist eine Eigenwilligkeit von Naim, denn die Dinger wackeln immer ... bei Naim. Das ist wohl eine Folge der «naimschen Entkopplungsphilosophie». Sehr sinnvoll ist auch für mein Verständnis der kleine Schiebeschalter auf der Rückseite. Dort kann man die Erdverbindung unterbrechen. Das hat schon manches Brummproblem von Plattenspielern behoben.
Naim bleibt Naim und das ist durchaus eine gute Nachricht in einer Zeit, in der von Herstellern und ihrer grossen Geschichte oft nur die Marken übrig bleiben.
User-Interface-Impressionen
Unten finden Sie ein paar Impressionen des genialen User Interfaces von Naim. Es handelt sich dabei um Screenshots von meinem iPad.
Magisch musikalisch
Ich habe nicht alle Funktionen des Uniti Atom getestet, aber bestimmt jene, die für anspruchsvolle Musikhörer am wichtigsten sind. Den Streamingsdienst Qobuz nutzte ich integriert und auch von meinem iPhone gestreamt mit Google Cast. Ich nutzte die vielen Alben auf meinem NAS und ich hörte auch mal Webradio. Den Musikserver MAN301 von Weiss betrieb ich über seinen SPDIF-Digitalausgang kurzzeitig am Atom und verwendete auch kurzzeitig eine SSD-Festplatte.
Das Klangbild überraschte mich als organisches, musikalisches Gebilde mit Ecken und Kanten. Es entsprach diesem Naim-Sound, wie ich ihn in Erinnerung habe. Nichts wirkte gekünstelt oder übertrieben. Ich hörte «When We Are full Asleep» der absolut genialen Billi Eilish in einer sehr intensiven Darbietung. Dann das Intermezzo aus Cavalleria Rusticana, die Karajan-Einspielung, schwebend und betörend beschwingt. Das Pink-Panther-Thema (Original Score) von Henry Mancini perfekt dreidimensional und den nordisch seufzenden Song «Ramund» von Myrkur. Schliesslich rundete Thad Jones' «I'll remember April» die Sache noch jazzig ab und mit «abrunden» meine ich eine völlig authentische Darbietung.
Klanglich ist der Uniti Atom grosses Kino für den etwas kleineren Geldbeutel und durch und durch das, was man von Naim erwartet. Funktional ist der Atom mit Ausnahme einer Sprachsteuerung (und die ist ohnehin nicht entscheidend) allumfassend – das heisst, es geht alles damit. Die Bedienung über das von Naim entwickelte User Interface ist Weltklasse. Der Uniti Atom ist auch optisch ein Schmuckstück und zudem perfekt verarbeitet.