MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
19. März 2023
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Cole Porters Komposition «Love for Sale» gibt es bestimmt in über 1000 Variationen. Gesungen von Ella Fitzgerald über Anita O’Day via Simply Red bis hin zu einer deutschen Version («Gern bereit») von Hildegard Knef. Gespielt unter vielen anderen von Art Tatum, Erroll Garner, Charlie Parker und Miles Davis. In meiner Sammlung fand ich sogar noch eine Aufnahme vom Jack Teagarden Orchestra.

Und nun dies: Frisch, frech und rasant: «Love for Sale» als musikalisches Feuerwerk, überraschend arrangiert, gespielt von vier aussergewöhnlichen Musikern, jeder ein Meister seines Fachs. Da musste ich mehr wissen, mehr hören.

Neuland

Zwar kannte ich den Vibraphonisten Joe Locke von verschiedenen Alben, doch die Namen der übrigen Musiker waren mir nicht geläufig.

Über den atemberaubenden Schlagzeuger Samvel Sarkisyan war nur wenig zu erfahren: Er stammt aus Rostov, hat Jahrgang 1995, begann fünfjährig mit klassischem Klavierunterricht und entdeckte ein paar Jahre später, dass seine eigentliche Passion dem Schlagzeug galt … und immer noch gilt.

Auch der Pianist Jim Ridl ist auf seiner Website eher zurückhaltend, wenn es um seine musikalische Entstehungsgeschichte geht: Er sei auf einer Farm in North Dakota aufgewachsen und habe in jungen Jahren seine Liebe zum Klavier und zum Jazz entdeckt.

Wenig mehr kann man über Lorin Cohen lesen: In einer musikalischen Familie in Chicago aufgewachsen, hat er als Neunjähriger mit Altsaxofon begonnen und eigentlich nur zum E-Bass gegriffen, um mit seinem älteren Bruder, dem Gitarristen Elliott und seinem Cousin Ryan (Piano) jammen zu können.

Natürlich haben alle drei ausgiebig Erfahrungen gesammelt, haben unzählige Konzerte gespielt, sind mit Jazzgrössen auf Tour gegangen und leben heute in New York, wo sie auch unterrichten.

Joe Locke

Der Leader der Gruppe ist auch der älteste und erfahrenste der vier. Joseph Paul Locke wurde 1959 in Palo Alto, Kalifornien, geboren, wuchs jedoch in Rochester (NY) auf, wo sein Vater Musik unterrichtete. Mit acht begann Locke seinen Klavier- und Schlagzeugunterricht. Als 13-Jähriger entdeckte er das Vibraphon, die ideale Mischung aus Piano und Drums. Nach kurzer Zeit in Rockbands entdeckte er den Jazz. Seine musikalische Ausbildung vollendete er an der Eastman School of Music in Rochester.

1981, also im zarten Alter von 22, zog er nach New York City und arbeitete mit Kenny Barron, Freddy Cole und vielen anderen. Das erste Album unter seinem Namen, «Present Tense», erschien 1990.

Seither wirkte er auf vielen Produktionen mit, wurde 2016 in die Music Hall of Fame in Rochester aufgenommen und erhielt diverse Auszeichnungen, u. a. wurde er mehrfach von der Jazz Journalists Association zum «Mallet Instrumentalist of the Year» erkoren.

Auf diesem Album zu hören (von links): Samvel Sarkisyan, Jim Ridl, Lorin Cohen und Joe Locke.Auf diesem Album zu hören (von links): Samvel Sarkisyan, Jim Ridl, Lorin Cohen und Joe Locke.

«Makram»

Der Start ist, wie schon erwähnt, fulminant: Cole Porters «Love for Sale» ist nicht nur überraschend arrangiert, sondern lässt auch genügend Raum für brillante Vibraphon-, Piano- und Drum-Soli.

«Raise Heaven» ist eine Hommage an den 2018 verstorbenen Musiker Roy Hargrove (Trompete, Flügelhorn), reflektiert dessen Liebe zu melancholischen Balladen, aber auch zu R&B. Das subtile Bläser-Arrangement stammt aus der Feder des Posaunisten Doug Beavers, der dieses Album mitproduziert hat.

Die Titelmelodie «Makram», benannt nach dem talentierten libanesischen Bassisten Makram Aboul Hosn, öffnet komplexe orientalische Einflüsse und erweitert den musikalischen Horizont im 5/4-Takt.

In der ergreifenden Ballade «Elegy For Us All» will Locke seine Traurigkeit ob all der negativen Einflüsse, die momentan die Demokratie (vor allem in den USA) bedrohen, ausdrücken.

«Tushkin» ist eine Komposition von Samvel Sarkisyan zu Ehren seines Grossvaters. Locke hat das lange Intro dazu beigesteuert und Tim Garland, eigentlich eher bekannt für Smooth Jazz, unterstützt die Komposition mit Sopransaxofon, Bassklarinette und Flöte.

Mit «Shifting Moon» taucht man wiederum in eine völlig andere Klangwelt ein: Komplexe Harmoniefolgen und noch komplexere Schlagzeugrhythmen machen dieses Stück zum Aussenseiter. Dies wird noch unterstützt durch den leicht verzerrt wirkenden Klang des Keyboards, der vor allem in Ridls Solo auffällt.

Jim Ridl widmete seine Ballade «Song for Vic Juris» seinem Freund, dem Gitarristen Vic Juris, der nur sechs Monate nach einer Krebsdiagnose 2019 66-jährig verstarb.

«Interwoven Hues» (Verwobene Farbtöne) ist Lorin Cohens fröhlicher, Hard-Bop-beeinflusster Beitrag zu diesem Album und lässt ihn auch in einem ausgedehnten Bass-Solo brillieren.

Last but not least rundet Joe Locke mit Billy Strayhorns «Lush Life» als Vibraphon-Solo dieses Gesamtwerk ab.

Vier, die sich nicht nur musikalisch zu verstehen scheinen.Vier, die sich nicht nur musikalisch zu verstehen scheinen.

Fazit

«Makram» ist ein vielseitiges, vielschichtiges und buntes Album, das einen gleich in den Bann ziehen kann, das jedoch auch kompliziertere Kompositionen beinhaltet. Je nach Stimmung spricht das eine oder andere Stück besser an – oder kann sogar etwas nerven. Auch ist es ein Studioalbum, das so kaum live gespielt werden könnte. Doch sind die zusätzlichen Tracks dermassen natürlich integriert, dass man es kaum merkt.

Die komplexen Arrangements von Joe Locke und das exakte Zusammenspiel der vier Musiker überzeugen. Doch ist es immer wieder der Ausbruch in die Solo-Freiheit, der diese Musik zum Genuss macht. Jazz eben.

STECKBRIEF
Interpret:
Joe Locke
Besetzung:
Joe Locke - vibes and additional keyboards, arrangements
Jim Ridl - piano and keyboards
Lorin Cohen - acoustic and electric bass
Samvel Sarkisyan - drums and cymbals

Special Guests:
Doug Beavers - trombone (2,4)
Eric C. Davis - french horn (2,4)
Jennifer Wharton - bass trombone and tuba (2,4)
Samir Nasr Eddine - oud (3)
Bahaa Daou - riq (3)
Tim Garland - soprano saxophone, bass clarinet and flute (5)
Albumtitel:
«Makram»
Herkunft:
USA
Label:
Circle 9 Records
Erscheinungsdatum:
17. Februar 2023
Spieldauer:
01:02:13
Tonformat:
FLAC 24-Bit 48.0 kHz – Stereo
Aufnahmedetails:
Recorded March 29-30, 2021 at Franklin Academy, NJ, USA
and March 31, 2021 at Trading 8s Studios, NJ, USA
Brass Recorded May 12, 2021 & May 2, 2022 at Studio Mozart, NJ, USA
engineered by Kostadin Kamcev
Mixed and mastered by Doug Beavers at Circle 9 Studio, NJ, USA
Medium:
Download/Streaming
Musikwertung:
9
Klangwertung:
9
Bezugsquellen