Zu viele Ingredienzen können ein Gericht ungeniessbar machen, heisst es. Doch wenn die einzelnen «Gewürze» nur nach und nach spürbar werden, sich nie in die Quere kommen, sich nur langsam entwickeln, kleine, unerwartete Genussexplosionen bewirken, Süsses von temperamentvoll Rasantem abgelöst wird, um dann in wehmütig Schönem zu gipfeln, ohne je zu scharf oder zu sauer zu werden ... dann wurde einem ein Gericht serviert, das sowohl Gault-Millau-Punkte als auch Michelin-Sterne verdient.
Zwar geht es hier nicht ums kulinarische Geniessen, sondern um wahrscheinlich noch komplexere Vorgänge, die via Gehör und Gehirn unsere Gefühle wecken. Und eben habe ich ein Album genossen, das die obigen Kriterien perfekt erfüllte; ein Elfgänger, der nach einer guten Stunde zwar satt machte, jedoch nie ein Völlegefühl erzeugte.
Ideales Zusammenspiel
Omer Avital hat für «New Song» die ideale Musikerkombination zusammengestellt, hat – um beim Kulinarischen zu bleiben – Köche gefunden, die seine Ideen und Kompositionen unterstützend umsetzen und nicht ihr «eigenes Süppchen» kreieren wollen, oder wenn schon, genau dieselben Vorstellungen vom Endresultat haben wie Omer. Oder anders ausgedrückt: Das «Zu viele Köche …»-Problem ist hier nie vorhanden oder zumindest nie hörbar.
Ein weiterer Pluspunkt für das positive Hörerlebnis ist natürlich die ideal ausgewogene Aufnahme/Abmischung und das ausgezeichnete Mastering. Die Band klingt kompakt, trocken und direkt, was für diese Musik ideal ist und der Gruppe vor allem in Themen zusätzlichen Zusammenhalt verleiht.
Das verspielte, sich gegenseitig beflügelnde Improvisieren, das immer wieder aufflammt, und z.B. gegen Ende von «Haifa» besonders ausgeprägt ist, unterstreicht die allgemein präsente und spürbare Spielfreude der fünf Musiker.
Und einmal mehr ist es der flügelhornartige, weiche Klang von Avishai Cohens Trompete, der mich besonders fasziniert. Doch auch die Klangvariationen, die Joel Fram mit unglaublicher Leichtigkeit aus seinem Saxofon zaubert, sind hinreissend.
Viele Einflüsse – keine Schublade
Omers Liebe zum Jazz ist allgegenwärtig: Einige Einflüsse sind offensichtlicher als andere, doch streiten sich Musikjournalisten und «Experten», was oder wer Omers Musik am stärksten geprägt haben könnte.
Seine Wurzeln (geboren und aufgewachsen in Israel als Sohn eines marokkanischen Vaters und einer jemenitischen Mutter) sind ebenso stark wie die Einflüsse des Jazz, der ihn schon früh in seinen Bann zog.
Von 1992 bis 2003 lebte er als aktiver Jazzbassist in New York, um dann zurück in Israel für drei Jahre klassische Komposition, arabische Musiktheorie und traditionelle israelische Musik zu studieren.
Gerade bei Musikstilen sind wir versucht zu schubladisieren. Omer Avitals Musik passt in keine der gängigen Kategorien. Es ist wie z.B. bei Horace Silver: Viele Einflüsse ergaben den unverkennbaren Horace-Silver-Sound (dessen Einfluss ich übrigens auch ab und zu auf «New Song» zu hören glaube), doch in eine der grossen Jazzschubladen passte er nie.
Fazit
Falls Sie sich gerne ab und zu ein Ihnen noch nicht bekanntes Restaurant empfehlen lassen und dieses dann ausprobieren wollen, Omer Avitals «New Song» ist ein Köstigungsversuch wert. Es verlangt zwar eine Prise Offenheit für Neuartiges, doch ist nichts zu orientalisch überwürzt, zu experimentell, zu «Nouvelle Cuisine».
Aber natürlich ist es beim Musikgenuss gleich wie bei Kulinarischem: Die Geschmäcker sind verschieden.