In "Into the Silence" verarbeitet der in Tel Aviv geborene und heute mehrheitlich in New York lebende Trompeter, der aus einer aussergewöhnlich musikalischen Familie stammt, in sechs Kompositionen den Verlust seines Vaters. Dieser Umstand sowie die Zusammenarbeit mit ECM-Gründer Martin Eicher lassen Avishai gar intensivere Töne und Klänge anschlagen als bisher.
Dass dieses Verarbeiten von Trauer und Erinnerungen nicht eben erheiternde Musik entstehen lässt, ist verständlich und nachvollziehbar. Und so passen Cohens musikalische Geschichten nicht zu jeder Stimmung des Zuhörers: Beim ersten Anhörversuch fühlte ich mich selbst zu verletzlich, um die gesamten 53 Minuten miterleben zu können, wartete ab, bis ich mich dem traurig-lyrischen Epos in seiner vollen Länge hinzugeben vermochte.
Nicht alle Teile von "Into the Silence" berührten mich gleichermassen, der Gesamteindruck jedoch ist überwältigend. Wenn man dann – bei einem zweiten oder dritten Durchgang – auf Ausführungseinzelheiten achten kann, fällt auf, wie kompakt das Zusammenspiel der vier Hauptmusiker ist (Bill McHenry ist eigentlich nur Gast, sein Tenorsax wird sparsam ergänzend eingesetzt). Kein Wunder, denn sowohl der Drummer Nasheen Waits als auch der Pianist Yonathan Avishai sind langjährige Wegbegleiter Cohens.
Und Avishai Cohens frühere Aussage, dass er stark von Miles Davis beeinflusst worden sei, ist auf dem ganzen Album hör- und spürbar.
Und beinahe hätte ich vor lauter Inhalt die Klangqualität vergessen zu erwähnen: Die gesamte Produktion ist dermassen gut, dass die Klangqualität eben gar nicht auffällt, da sie nicht Mittel zum Zweck ist, sondern die Musik in ihrer vollen Aussage und Kraft unterstützt und erstrahlen lässt.
Fazit
Wie schon eingangs erwähnt: Erwarten Sie auf "Into the Silence" keinen «Happy Jazz», sondern 53 Minuten anspruchsvolle, gefühlvolle Klänge, die Trauer, Sorgen, Verlust beinhalten und Sehnsüchte wecken.
Zur Klärung
Obgleich der Name Avishai nicht sonderlich verbreitet sein soll, gibt es ihn als Vor- und auch als Familiennamen. Im Jazz hat der Trompeter sogar noch einen (nicht verwandten) Namensvetter, den 1970 geborenen Bassisten Avishai Cohen. Und der Pianist auf "Into the Silence" heisst Yonathan Avishai.