Als im Juni 1961 Nancy Wilson mit dem Cannonball Adderley Quintet unter anderem «The Masquerade is Over» aufnahm, war er dabei, zusammen mit Joe Zawinul, Sam Jones und Nat Adderley. 60 Jahre später lässt er die Saxofonistin und Sängerin Camille Thurman zusammen mit seinem momentanen Quintett diesen Song neu interpretieren.
Doch Louis Hayes' Karriere als Schlagzeuger hatte schon in den 50er-Jahren begonnen und ist mit unzähligen Aufnahmen dokumentiert.
Louis Hayes
Louis Sedell Hayes, Sohn musikalischer Eltern, wurde am 31. Mai 1937 in Detroit (MI) geboren. Sein Vater arbeitete in der Autoindustrie, spielte daneben jedoch Klavier und Schlagzeug; seine Mutter, eine Tante von Prince, war Kellnerin und spielte Klavier.
Mit 10 erhielt Louis sein erstes Schlagzeug, erhielt Unterricht von einem Cousin und war fasziniert von Philly Joe Jones. Schon früh spielte er mit diversen Bands in Jazzclubs von Detroit. Mit 18 begleitete er Yusef Lateef und Curtis Fuller und zog 1956 nach New York, um Art Taylor im Horace Silver Quintet zu ersetzen.
Drei Jahre später folgte Louis der Einladung von Cannonball Adderley, in dessen Quintett er bis 1965 spielte. Darauf folgten zwei Jahre im Oscar Peterson Trio (als Ersatz für Ed Thigpen). Nach vier ausgebuchten Jahren mit eigenen Gruppen inklusive ausgedehnten Tourneen kehrte er 1971 für ein weiteres Jahr zu Peterson zurück.
Ab 1972 war an vielen Projekten beteiligt, spielte in eigenen Gruppen zusammen mit Junior Cook oder Woody Shaw. Zu weiteren Jazzgrössen, die er mit seinen Drums unterstützte, gehören John Coltrane, Kenny Burrell, Freddie Hubbard und während drei Jahren McCoy Tyner.
Seit 1989 stellt er immer wieder neue Bands zusammen, u. a. die «Cannonball Legacy Band» mit Vincent Herring.
«Crisis»
Be-Bop war schon immer Louis Hayes' bevorzugter Stil. Und auch auf diesem Album nutzt der Altmeister sein gesamtes Repertoire an Akzenten, Einwürfen und Soloeinlagen voll aus. Für meinen Geschmack ist der Einsatz der Crash-Becken etwas übertrieben (oder liegt es an der Aufnahme/der Abmischung?), doch das tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch.
Was mir jedoch allgemein auffällt: Das Zusammenspiel von Vibraphon und Saxophon in den Themen ist oft unexakt, wie wenn die Musiker nicht genügend Zeit gehabt hätten, die Melodien zusammen einzustudieren. Es klingt eher nach «direkt vom Blatt gespielt». Oder waren sie etwa (Corona-bedingt) gar nicht zusammen im Studio? Das Booklet gibt leider keine Auskunft dazu.
Doch wenn die Improvisationen einsetzen, geht die Post ab: Abraham Burton und David Hazeltine spielen unglaubliche Soli, sowohl in musikalischer als auch technischer Hinsicht. Am meisten begeistert mich jedoch Steve Nelson: Der Vibraphonist überzeugt nicht nur in seinen teils atemberaubenden, teils stimmungsvollen, jedoch immer den Harmonien folgend melodiösen Soli, sondern auch mit seinen geschmackvollen Einwürfen z. B. bei den zwei Stücken mit Gesang.
Ja, der Gesang: Camille Thurman, besser bekannt als Saxofonistin im «Jazz at Lincoln Center Orchestra», ist bestimmt auch eine begabte Sängerin und bringt, verglichen mit der (immer noch hinreissenden) Version von Nancy Wilson, etwas frischen Wind in «The Masquerade is Over». Sie beherrscht auch den Scat-Gesang, doch nicht alle ihre Intonationen sind rein, gewisse Passagen klingen für mich zu «geschrien». Doch Stimmen sind eben Geschmacksache.
Fazit
Das Titelstück «Crisis», die Nummer 8 der zehn Stücke, stammt zwar aus den 60er-Jahren von Freddie Hubbard, soll jedoch auch auf die Pandemie-Situation im Frühjahr 2021, als dieses Album aufgenommen wurde, hinweisen.
Die knappe Stunde enthält viele Höhepunkte, vor allem in den Soloteilen. Das Album bietet jedoch nicht durchwegs den erwartet hohen Standard. Auch ist die Klangqualität trotz Hi-Res-Audio meines Erachtens nicht optimal. Trotz dieser Einschränkungen ist «Crisis» vor allem für Be-Bop- und Hard-Bop-Jazzfreunde eine Reinhör-Empfehlung.