Natürlich war Julie London (für den damaligen Geschmack?) eine enorm attraktive Frau, und natürlich wurde sie als solche vermarktet. In einem Interview sagt sie sogar selbst, dass das Fotoshooting für ihre Doppel-LP «Calendar Girl» länger gedauert habe als die Audioaufnahmen im Studio. Doch eigentlich schien es ihr egal zu sein, wie sie vermarktet wurde, wenn sie einfach nur – von wenigen guten Musikern umgeben – singen konnte.
Ob alles, was über Julie London publiziert wurde, den Tatsachen entspricht, ist fraglich, ging es doch immer um Big Business. Doch einige Stationen in ihrem Leben sind doch sehr aufschlussreich.
Julie London
Julie Peck erblickte im September 1926 in Santa Rosa (CA) das Licht der Welt – übrigens im selben Jahr wie Marilyn Monroe. Ihre Eltern traten als Vaudeville-Paar (Gesang und Tanz) in Cabarets und Nightclubs auf. 1929 zog die Familie nach San Bernardino (CA), wo Julie erstmals (als Dreijährige) im Radioprogramm ihrer Eltern sang. Zuhause hörte man vorwiegend Jazz, die Lieblingssängerin war Billie Holiday.
1941 zog die Familie nach Hollywood. Da Julie älter aussah, als sie war, sang sie schon als Teenager in Clubs, was ihr jedoch bald polizeilich verboten wurde. Nach ihrem Abschluss an der Hollywood Professional School, einer renommierten Privatschule für Musik, fand sie eine Anstellung als Lift Girl in einem vornehmen Warenhaus in Downtown Los Angeles. Dort wurde sie 1943 wegen ihres Aussehens von einer Hollywood-Filmagentin angesprochen … und gleich unter neuem Namen «Julie London» in diversen B-Movies eingesetzt.
1947 heiratete sie Jack Webb, den Hauptdarsteller und Produzenten der damals äusserst erfolgreichen TV-Krimi-Serie «Dragnet» (die Serie war synchronisiert unter dem Titel «Polizeibericht» auch im deutschen Fernsehen zu sehen). Doch die Ehe hielt nur sieben Jahre. Drei Jahre später heiratete Julie den Jazzkomponisten und Pianisten Bobby Troup («Route 66»). Diese Ehe hielt bis zu seinem Tod 1999. Insgesamt hatte Julie London fünf Kinder (zwei aus erster Ehe) und betrachtete das Familienleben oft als wichtiger als ihre Karriere.
Nach ihrer Scheidung von Jack Webb 1954 arbeitete sie weiterhin als Schauspielerin, wirkte in verschiedenen Filmen mit, sang jedoch daneben in kleinen Jazzclubs in Los Angeles, wo sie vom Mitbegründer von Liberty Records gehört und gleich zu einem Vertrag überredet wurde.
Im Dezember 1955 erschien ihr Debut-Album «Julie Is Her Name» und wurde gleich zum Verkaufsschlager. Die Zeitschrift «Billboard» gab ihr gleich dreimal – 1955, 1956 und 1957 – den Titel «Most Popular Female Vocalist» und das Magazin «Life» ehrte ihren Erfolg mit einer Titelstory und einem ausführlichen Interview, in dem die auch auf der Bühne rauchende Julie sagte: «Ich verfüge nur über eine Ministimme und muss nahe am Mikrofon singen. Es ist eine rauchgesättigte Stimme, die automatisch intim klingt.»
Ihr grösster Erfolg war die aus ihrem Debut-Album ausgekoppelte Single «Cry Me a River», geschrieben von ihrem Highschool-Klassenkameraden Arthur Hamilton. Sie sang dieses Lied auch in ihrem Film «The Girl Can’t Help It», mit dem sie ebenfalls Erfolge feiern konnte.
Während sie weitere LPs für Liberty Records aufnahm, wirkte sie weiterhin in diversen Hollywood-Produktionen mit, machte Werbefilme, u.a. für Marlboro-Zigaretten(!) und wurde deshalb auch gerne in Western-Filmen eingesetzt, z. B. in «Drango» mit Jeff Chandler oder an der Seite von Gary Cooper in «Man of The West».
London hatte auch nach der Scheidung eine gute Beziehung zu ihrem Ex. 1972 wurden sie und ihr Gatte von Jack Webb als Hauptfiguren einer neuen TV-Serie erkoren: «Emergency», eine Spital-Drama-Serie, war ein riesiger Erfolg und dauerte sechs Jahre resp. über 128 Episoden. Während dieser Zeit hatte Julie London ihre Gesangskarriere ziemlich vernachlässigt. Sie beschloss 1979, schauspielerisch etwas leiserzutreten und sich wieder mehr dem Familienleben und dem Gesang zu widmen.
Trotz ihres Erfolges sowohl als Schauspielerin als auch als Sängerin galt sie eher als introvertiert, ja scheu, und hatte vor jedem öffentlichen Auftritt Angst, nicht zu genügen. Sie blühte jedoch auf, wenn sie mit guten, kreativen Musikern zusammen war. Ihr 1960 aufgezeichnetes Album «Julie … at Home», das effektiv bei ihr zuhause aufgenommen wurde, gilt – auch unter Jazz-Liebhabern – als eines ihrer besten.
Die Kettenraucherin Julie London erlitt 1995 einen Schlaganfall, der eine Behandlung ihres Lungenkrebses verunmöglichte. Sie verstarb im Oktober 2000.
«Julie Is Her Name»
Drei Jahre liegen zwischen ihrem Debut-Album und dem ebenso erfolgreichen Vol. 2. Die Idee ist bei beiden Alben dieselbe: Im Mittelpunkt steht Julies intime Stimme, trocken, ohne Effekte und nur von E-Gitarre und Bass begleitet, wobei die Instrumente ergänzende Soli beisteuern durften.
Alle 25 Stücke sind ausnahmslos nur zwischen zwei und drei Minuten kurz, doch vollgepackt mit der ausdrucksvollen Stimme und einigen hervorragenden Soli (vor allem Barney Kessel auf Vol.1).
Julie versteht es, den Texten Sinn zu geben und mit ihrer Stimme und Phrasierung die Aussage des Songs zu verstärken. Es heisst, dass sie bei «Cry Me a River» an ihren Ex dachte, die persönliche Erfahrung, damals noch frisch, in das Lied einbrachte und es auch deshalb zum Erfolg wurde. Doch hat sie die Gabe, dies mit all ihren Liedertexten zelebrieren zu können.
Fazit
Als Schauspielerin verblasste ihr Ruhm mit der Zeit, da sich auch unsere geschmacklichen Anforderungen an Hollywood-Produktionen über die Jahre veränderten. Doch ihre gesanglichen Qualitäten werden uns erhalten bleiben, da ihre Alben in regelmässigen Abständen immer wieder neu veröffentlicht werden.
Es erstaunt mich immer wieder, wie in den 50er- und 60er-Jahren Sängerinnen und Sänger, ohne jegliche technische resp. digitale Tricks rein und «in tune» sangen. Und wenn, wie in diesem Fall, nur gerade zwei Instrumente die Stimme unterstützen, ist die Bewunderung umso grösser.