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Publikationsdatum
14. Mai 2020
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Hi-Fi-Messen boomten in den letzten Jahren, vor allem in grossen Märkten wie etwa in Deutschland. Die kleineren Hotelmessen lassen sich einfach veranstalten, und die Kosten für die Aussteller sind überschaubar, weil sie ausser dem Raum für die Vorführung kaum Infrastruktur benötigen: kein Standbau und nicht viel Personal. Die kleinen Messen richten sich zudem an die Endkunden, was die Zielgruppe der Aussteller erweitert.

Die Schweiz ist wirtschaftlich und demografisch plusminus mit dem Bundesland Baden-Württemberg vergleichbar, geografisch ist die Schweiz kleiner. Es überrascht nicht, dass es in der Schweiz zwei etablierte – heisst stabile – Hi-Fi-Messen gibt: die High End Swiss und das Klangschloss. Auch diese beiden Schweizer Messen sind überwiegend auf Endkunden ausgerichtet.

Die High End München spielt sich jedes Jahr fast vor unserer Haustüre ab. Sie ist aber ein ganz anderes Vehikel, weil die Endkunden nicht im Zentrum stehen. Diese haben zwar Zutritt, aber die Aussteller fokussieren sich grösstenteils auf die internationalen Fachbesucher, Distributoren, Importeure usw. Diese Besucher bringen das (schnelle) Geschäft. Asien war in den vergangenen zehn Jahren der wichtigste Absatzmarkt, der fast geschlossen nach München reiste.

Die High End hat auch den Vorteil eines grossen Heimmarkts in Deutschland und in der EU mit ihren Vertriebskanälen. Kommt hinzu, dass viele spezialisierte High-End-Audio-Hersteller direkt an die Endkunden verkaufen. Für sie ist die Messe ein unverzichtbarer Verkaufspunkt.

Die gleichzeitig mit der High End München stattfindende Hi-Fi Deluxe in München hat ihre Berechtigung, dürfte aber ihre positive Entwicklung auch der gefühlt ewigen Überbuchung der High End München verdanken.

Aus Sicht der Besucher sind die Messen praktisch, insbesondere wegen der Vorführungen. Denn Audiogeräte und Systeme kann man nicht bloss betrachten, man muss sie hören. Wer sich dafür interessiert, bekommt immer eine gute Gelegenheit, sich ins «Klangbild» zu setzen.

Auf den ersten Blick scheinen Hi-Fi-Messen also keine Probleme zu haben.

Tunnelblick

Die Hi-Fi-Branche für Hochwertiges hat sich schon seit einiger Zeit damit abgefunden, einen Markt zu bedienen, der von weniger als 10 % der erwerbstätigen Bevölkerung wahrgenommen wird. Tendenz abnehmend. Zur Präzisierung: Die Bezeichnung «wahrgenommen werden» ist nicht gleichbedeutend mit «Interesse». Das Durchschnittsalter der Messebesucher dürfte über 50 Jahre betragen. Wer immer wieder an Hi-Fi-Messen ausstellt, der glaubt, viele der Besucher wiederzuerkennen. Oder man wird von ihnen wiedererkannt. Man bildet sich das nicht ein.

Anhand der obigen Feststellung könnte man annehmen, dass diese kleinen Messe-Universen in sich gut funktionieren. Die Community bewegt sich an die Messe und alle haben eine gute Zeit. Leider ist dem nicht wirklich so: Die Messeveranstalter haben schon lange erkannt, dass die Besucherschaft bei Laune gehalten werden will, um sie zu erhalten. Begleitveranstaltungen sind mittlerweile der Standard – Vorträge, Workshops, you name it.

Das wiederum bedeutet, dass die Motivation der Messebesucher nicht nur von dem abhängt, was die Aussteller zu bieten haben. Vielleicht, weil die Aussteller nebst oder an den Vorführungen zu wenig bieten oder weil das Interesse schleichend nachlässt. Es scheint Unterhaltung zu brauchen, um Käufer anzulocken, aber eigentlich brauchen Käufer doch keine Unterhaltung. Sie wollen kaufen und sind ernsthaft am Evaluieren.

Im Messejargon spricht man von nachlassender Besucherqualität.

Man muss draus schliessen, dass heute sehr viele Besucher gar keine Kaufabsichten hegen. Sie besuchen die Hi-Fi-Messen aus anderen Gründen. Sie wollen zum Beispiel einfach dabei sein und sich als Teil einer Community fühlen.

Wer bezahlt die Rechnung und womit?

Die Rechnung bezahlen die Aussteller. Die Raummieten und Standmieten der Aussteller sind das Gros der Einnahmen. Aber kommen die Aussteller auch auf ihre Kosten? Das wiederum hängt von den Zielsetzungen der Aussteller ab – und da hat sich längst ein gewisser Fatalismus verbreitet. Wer hierzulande sagt, er wolle an der Messe Aufträge gewinnen, wird eher ungläubig angeschaut. Wer sagt, er hätte Aufträge gewonnen, dem wird nicht geglaubt. Die Messeziele werden auch mit Massnahmen verwechselt: Die Präsentation eines neuen Produkts wird als Ziel formuliert, dabei ist es eine Massnahme, etwas, das man an der Messe tut und nicht, was man damit erreichen will.

Überhaupt will man gar nicht so recht über Messeziele und Zielerreichung sprechen. Anders die Veranstalter. Diese haben es einfacher: Sie zählen Aussteller und Besucher und holen sich einige Testimonials ein, um die Zufriedenheit zu erheben. Für den Verkaufserfolg der Aussteller sind sie nicht zuständig.

Auch bei grossen Messen, bei denen die Absatzpartner im Fokus der Aussteller stehen, bedeuten Aufträge noch lange nicht, dass ihre Produkte wirklich Erfolg haben. Solche Aufträge bedeuten für viele Hersteller erst einmal, dass sie produzieren können und dass nach einigen Wochen (oder Monaten) ihre Produkte in einem Markt zum ersten Mal dem Handel vorgestellt werden können, manchmal auch direkt den Endkunden. Der Auftrag an der Messe bedeutet noch lange nicht, dass das Produkt in absehbarer Zeit einen Musikhörer in seinem Heim erfreuen wird.

Wer nicht hingeht, ist weg vom Fenster. Stimmt das?

Viele Aussteller beteiligen sich an Messen, weil es ihre Mitbewerber auch tun. Der «Branchentreffpunkt» dient als Begriff mit Geschichte, obwohl dieser Begriff unbewusst den Endkunden nicht einbezieht. Das ist symptomatisch für viele Messen: Sie entwickeln mit der Zeit eine Branchen-Introvertiertheit, die Gefahr läuft, die «primären» Kunden nicht mehr anzusprechen. Der «primäre» Kunde wäre in unserem Fall der Musikhörer. Alle anderen Kunden sind in der Vertriebskette und Teil der Branche.

Diese Vertriebskunden erfordern keine zwingende Messebeteiligung, um mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Potenzielle Vertriebspartner sind im Allgemeinen auch schon bekannt. Die primären Kunden sind über viele Kanäle erreichbar. Wer als Aussteller/Hersteller/Vertrieb sein Klavier beherrscht, ist nicht per se weg vom Fenster, wenn er auf eine Messebeteiligung verzichtet oder die Anzahl seiner Teilnahmen verringert. Beweis dafür sind einige grosse Namen in der Branche, die schon seit Jahren nicht mehr ausstellen.

Covid-19

Die Pandemie, die uns alle gerade beschäftigt und es weiterhin tun wird, könnte für die Hi-Fi-Messen zum Prüfstein werden. Ich meine das ohne Häme. Die Reisebeschränkungen und die Reiseängste werden Fachbesucher aus Asien und anderen Ländern wohl auch 2021 noch bremsen. Das eher hohe Durchschnittsalter der Endkunden (Stichwort: Risikogruppen) wird die Besucherzahlen insgesamt beeinflussen. Viele Aussteller erfahren gerade zum ersten Mal, wie sich das Geschäft ohne Messen entwickelt, nicht nur zum Negativen. Die Veranstalter müssen sich weiterhin mit gesetzlichen Auflagen befassen und diese an künftigen Messen durchsetzen. «Social Distancing» dürfte in den Vorführräumen zur Herausforderung werden, weil man die Stühle nicht so einfach nach diesen Regeln platzieren und gleichzeitig den Besuchern einen guten Höreindruck vermitteln kann.

Auch die Messeveranstalter spüren wohl eine gewisse Gefahr aufkommen und tun gerade einiges für Goodwill, Branchen-Zusammenhalt und Community-Gefühl, nachdem sie sich bei den bereits abgesagten Messen den Ausstellern gegenüber teilweise schon sehr kulant gezeigt haben.

Die potenziellen Käufer unter den Endkunden könnten ihre Kaufentscheidungen beschleunigen, sofern es die individuellen wirtschaftlichen Voraussetzungen zulassen. Sie konnten und können sich ohnehin gut informieren, denn dafür braucht es die Messen nicht mehr. Vorführungen kann man auch ohne Messen in Anspruch nehmen.

Fazit

Vielleicht nimmt man uns diese kritische Prognose übel. Als Fachmedium gehören wir zur Branche und zur Community, aber wir müssen den kritischen Blick bewahren, um nicht unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Eines ist gewiss: So lange der gehobene Hi-Fi-Markt nicht wächst, indem neue Zielgruppen aktiviert und sensibilisiert werden, so lange werden Messen hinterfragt werden, weil die Besucherzahlen bestenfalls stagnieren und weil es unter den Besuchern zu wenig Käufer geben wird.

Die Messeveranstalter können da einiges ausrichten, aber wirklich gefordert sind die Hersteller: Sie entwickeln die Hi-Fi-Produkte und Systeme der Zukunft. Und das müssen sie eben auch tun. Die Messe als Marketinginstrument ist dann gegebenenfalls ein Mittel – und nicht das Ziel.

Erkenntnis: Messen sind nicht das Ziel.

 

(Der Autor, also ich, war von 2002 bis 2009 im Messegeschäft bei MCH Schweiz in Basel tätig.)