Die Musikalität der Cole-Family ist weltbekannt. Die vier Söhne von Edward und Paulina Cole wurden alle Musiker. Nat, der älteste (1919–1965), war der erfolgreichste und dessen Tochter Nathalie (1950–2015) wurde ebenfalls ein Weltstar.
Lange stand Freddy, der jüngste der vier, im Schatten seines zwölf Jahre älteren, weltberühmten Bruders Nat King Cole. Erst als dieser 1964 schwer erkrankte, veröffentlichte Freddy seine erste LP «Waiter, Ask the Man to Play the Blues», mit dem Untertitel «Freddy Cole plays and sings some lonely ballads». Schon damals spielte er in einem Quintett mit Sax und Gitarre als zusätzliche Soloinstrumente. Dieses Album wurde 2005 von Verve wiederveröffentlicht. Es ist meiner Meinung nach immer noch empfehlenswert, wenn auch teilweise klanglich etwas verstaubt. Es ist hier auf Qobuz erhältlich.
Trotz der hervorragenden Beurteilungen durch die Presse dauerte es weitere fünf Jahre, bis die nächste LP erschien. Doch beginnen wir von vorn.
Freddy Cole
Freddy Cole wurde am 15. Oktober 1931 in Chicago geboren. Wie seine älteren Brüder erhielt er schon mit sechs Jahren seinen ersten Klavierunterricht. Treibende Kraft hinter der musikalischen Ausbildung der ganzen Familie war die Mutter Paulina Nancy Cole.
Freddy verfeinerte seine musikalische Ausbildung an diversen Musikschulen, zog 1951 nach New York und schloss 1952 sein Masters Diplom am New England Conservatory of Music ab. Als Pianist war er danach mit diversen Bands unterwegs, u. a. mit Benny Golson respektive mit der Earl Bostic Band.
Zurück in New York spielte er in vielen kleineren Musiklokalen und eignete sich dabei ein riesiges Repertoire mehr oder weniger bekannter Stücke an.
Seit 1972 lebt er in Atlanta, wo heute auch sein «reguläres» Quartett beheimatet ist. Randy Napoleon an der Gitarre, der auch die meisten Arrangements beisteuert, Elias Bailey am Bass sowie Quentin Baxter am Schlagzeug gehören seit längerem dazu. Mit ihnen tourte Freddy Cole in den letzten Jahren durch die ganze Welt – und so es Freddys Gesundheit (und die Corona-Situation) zulassen, wird es auch in Zukunft Konzerte in Europa und den USA geben.
My Mood is You
Auf diesem 2018 erschienen und 2019 für einen Grammy (in der Kategorie «Best Jazz Vocal Album») nominierten Album ist Freddy nur als Sänger aufgeführt; am Klavier sitzt John di Martino, der auch die Hälfte der Arrangements beisteuerte. Und wie schon bei anderen (auch bei seiner ersten) Recording Sessions wurde ein Saxofonist verpflichtet: Joel Frahm überrascht mit seinen Tenor- und Sopransax-Soli und verleiht dieser schon an sich spannenden Produktion eine zusätzliche Prise Modernität.
Doch umrahmt von all diesen exzellenten Musikern ist die überraschend frische Stimme des doch immerhin (damals) 86-jährigen Freddy Cole, der die Texte der wenig bekannten Songs wie Geschichten erzählt: klar und ohne grosse Floskeln, mit einem Hauch Nat gewürzt, glaubhaft und authentisch.
Alle Lieder berichten von Beziehungen und Liebe, basieren auf Lebenserfahrungen eines reifen Menschen, die man dem 86-Jährigen problemlos abkauft, die kein Jungstar so glaubhaft erzählen könnte. Oft sind die Improvisationen der Mitmusiker länger als der Gesang, doch ohne diesen hätte die Musik nicht den Tiefgang, den emotionalen Wert. Nicht umsonst wurde sie in der Kategorie «Jazz Vocals» für den Grammy nominiert.
Noch eine Bemerkung zum Pianisten: John di Martino imitiert auf dieser Aufnahme den Klavierstil von Freddy Cole ausgezeichnet. Bevor ich das Booklet sah, war ich der Überzeugung, dass Freddy selbst spielt (wie auf den meisten Alben vor diesem).
Fazit
Freddy Cole soll und darf man nicht mit seinem Bruder vergleichen, er ist eben anders, hat nicht diesen «internationalen Kuschelfaktor», bietet weniger Samt, weniger Kommerz, ist wahrscheinlich weder stimmlich noch pianistisch auf dem gleichen Niveau; doch die Gefühle, die er wecken kann, sind (zumindest bei mir) grösser als bei vielen «Weltstars» der letzten Jahre.