Audioquest Nightowl im Test
Mein Flug auf den Schwingen der Nachteule

Bei mir äussert sich ein Ausbruch von Audiophilia – der in der Regel sehr kostspieligen Musikliebhaberei – darin, dass ich mich auf die Suche nach einem neuen Kopfhörerteil mache, das klanglich eine Ergänzung oder Verbesserung meiner bisherigen Ausrüstung darstellt.
Diesmal hat mich diese wunderbare Krankheit auf die Suche nach Kopfhörern geschickt, die portabel sind und die sich klanglich abheben von dem übervermarkteten Einheitsbrei der Grossverteiler.
Nach mehreren Recherchen führte mich mein Weg ins Testcenter des K55 an der Universitätsstrasse 13 in Zürich, wo mich mein neues Objekt der Begierde für einen ausgiebigen Test erwartete: Den Nightowl Carbon von Audioquest.
Der Nightowl ist der Bruder des halboffenen Nighthawk. Der grösste Unterschied der beiden Modelle besteht darin, dass der Nightowl auf der Rückseite keine Öffnung besitzt. Was das bedeutet und wie stark dieser Unterschied sich auf das Klangbild auswirkt, wird im Verlauf des Testberichtes genauer beleuchtet. Im Wesentlichen handelt es sich aber um weitgehend identische Kopfhörer.
In Online-Foren wie Head-fi wurde der Nighthawk mit Begeisterung empfangen. Einige Audiophile behaupten sogar ernsthaft, dass der Nighthawk das Dreifache Wert sei von seinem eigentlichen Preis von 649 Franken und knapp Hundert Franke mehr für die Karbonvariante. Dieses Modell soll es also mit Kopfhörern um 2000 Franken aufnehmen können. Eine vorzügliche Steilvorlage für hitzige Debatten.
In meinem Test werde ich den Nightowl gegen meinen Audeze-X-Kopfhörer antreten lassen, der um die 2000 Franken kostet, der aber eher als "transportabel" denn als "portabel" bezeichnet werden kann. Selbstverständlich wird sich der Nightowl in meinem Test auch gegen Vertreter im leicht höheren Preissegment um gut 900 CHF behaupten müssen.
Optik, Haptik und Technik

Die Kopfhörermuscheln unseres Testobjekts sehen auf den ersten Blick wie aus glänzendem Plastik aus. Erst auf den zweiten Blick oder nach kurzen Recherchen stellt sich heraus, dass es sich bei dem verwendeten Material um "liquid wood", also um "flüssiges Holz" handelt. Laut Hersteller werden dabei Pflanzenfasern verwendet, die durch den Prozess der Verflüssigung in eine Kopfhörerpassform gegossen und dort gehärtet werden. Die klanglichen Eigenschaften seien dabei weitaus besser als beim billigen Plastik. Hört hört!
Optisch erinnert mich die Halterung, an der die Kopfhörermuscheln angebracht sind, an das runde Auge eines Nachtvogels, was bestimmt kein Zufall sein dürfte bei dem Kopfhörer, der zu Deutsch "Nachteule" heisst. Besonders prominent im Erscheinungsbild ist der biegsame Metallbügel, der bei jeder noch so fülligen Haarpracht einige Zentimeter hervorstehen wird.

Der Nightowl ist alles andere als ein kleiner Kopfhörer – was seine Vor- und Nachteile hat. Der Nachteil ist offensichtlich der Stauraum, den er benötigt. Ebenso gibt es wahrlich geeignetere Kopfhörer, die man in Musikpausen als modisches Accessoire um den Hals tragen kann. So getragen, drücken die Ohrhörer wegen ihrer Grösse tendenziell zu stark auf die Kehle. Allerdings passt der Nightowl garantiert auf alle Ohren, egal wie gross diese sind. Diesen Eindruck wurde mir wiederholt bestätigt von Leuten, die ganz anders als ich einen sehr kleinen Schädel haben.
In einem gewaltigen Kontrast zur Grösse und zum Gewicht von 346 Gramm steht der Tragekomfort. Ich habe noch nie Kopfhörer in dieser Preiskategorie getestet, die sich derart sanft an den Kopf anschmiegen. Das mit Elastikverstrebungen verbundene Lederband sorgt dafür, dass der Kopfhörer mühelos an die jeweilige Kopfgrösse angepasst wird. Ebenso sorgt der runde Bügel dafür, dass die Hörer sanft auf den Kopf gepresst werden. Die Entwickler von Nightowl haben scheinbar den Goldilock-Effekt entdeckt, was Kopfhörerbügel angeht: Weder zu straff, noch zu wacklig. Ein gewaltiger Pluspunkt auf das Konto der Portabilität.
Neben den innovativen Materialien in den Kopfhörermuscheln und den Wahlmöglichkeiten bei den Ohrpolstern (ja, es werden Ersatzohrpolster mitgeliefert, die mehr Bass versprechen) sind die Kopfhörertreiber beim Klang das ausschlagende Element. Dabei handelt es sich um einen dynamischen 50-mm-Treiber, der sich an der Technik moderner Lautsprecher orientiert. Er besteht aus einer eigens hergestellten Bio-Cellulose-Membran, einer Schwingspule und einer Gummiummantelung. Das Resultat ist laut Hersteller nicht nur sichtbar, sondern auch deutlich hörbar.
Klangtest und Vergleich

Bevor ich mich endlich dem Wesentlichen widmen konnte, gab es noch eine Hürde zu bewältigen. Der Hersteller Audioquest empfiehlt, dass der Kopfhörer vor dem ersten seriösen Jungfernflug während 150 Stunden "eingebrannt" wird. Traditionellerweise heben bei der Bezeichnung "burn-in" viele Kopfhörerenthusiasten mindestens eine Augenbraue, zumal dieser Vorgang umstritten ist, was seine Effektivität betrifft. Doch ja, ich gehöre zu den Leuten, die an eine Einbrennzeit glauben. In der Praxis meinte ich zu hören, dass der Nightowl an Klangbühne gewann und die Fähigkeit verbesserte, die Instrumente räumlich separiert zu platzieren ("Imaging" genannt). Auch veränderten sich einige klangliche Elemente in Richtung Natürlichkeit.
Nightowl musste sich in unserem Test gegen drei Kopfhörer behaupten. Gegen den P9 von Bower & Wilkins und den El-8 von Audeze. In der letzten Runde folgte ein Duell gegen den knapp dreimal teureren LCD-X von Audeze. Ob die letzte Runde fair ist, sei einmal dahingestellt. Die Herausforderung aus einschlägigen Foren, dass der Nightowl das Mehrfache seines Preises wert sei, wird hier auf jeden Fall angenommen.

Der Nightowl besitzt einen wunderschönen und prominenten Mittenbereich im Klangspektrum, was für Freunde von Singstimmen eine gute Neuigkeit bedeutet. Untermauert von einem starken, aber wohlproportionierten Bass, der ohne auszuscheren weiss, wo sein Platz sein soll. Der Höhenbereich ist leicht zurückgezogen. Diesen Eindruck bestätigen die Messwerte des technisch sehr ähnlichen Nighthawk.
Trotz des im Gegensatz zum Nighthawk ganz geschlossenen Kopfhörerdesigns überrascht der Nightowl mit seinem offenen Klang. Eine gegen aussen offene Kopfhörermuschel führt dazu, dass die Musik "luftig" klingt – also mehr nach Open-Air-Konzert als nach stickiger Konzerthalle. Dazu kommt, dass die geschlossene Form zum einen dafür sorgt, dass der Musikgenuss durch Umgebungsgeräusche gestört wird, und zum andern, dass Passanten durch austretende Musik unfreiwillige Zeugen eines Konzertes werden. Das sind zwei phänomenale Trumpfkarten für einen geschlossenen Kopfhörer. Die Klangbühne ist dementsprechend gross.
Ein wichtiger Kritikpunkt stellt bei mir immer mehr das Imaging dar, also wie und wo die verschiedenen Elemente in der Klangbühne angeordnet sind und wie klar diese voneinander getrennt werden. Schlechte Kopfhörer – und derer gibt es massenweise – machen selbst hervorragend gemischte Musikperlen zu einer schwer definierbaren Klangsuppe. Der Nightowl meistert diese Aufgabe gut – für einen Kopfhörer in diesem Preissegment.
Nightowl versus El-8c

Ich lege hier gleich meine Karten auf den Tisch: Der El-8c war bisher mein Favorit in diesem Preissegment. Wegen eines erneuten Audiophilia-Schubes habe ich diesen jedoch gegen den besseren und teureren LCD-X(c) eingetauscht, welcher im Test als Referenz aufgeführt wird. Der Nightowl klingt im Vergleich zum El-8c weniger reichhaltig, sauberer und schlichtweg als etwas, das ich "digitaler" nenne. Dies bedeutet allerdings nicht, dass dies per se schlecht ist. Es ist in erster Linie Geschmackssache. Klarer und genereller Vorteil ist jedoch, dass der Nightowl um einen Zacken detaillierter klingt, vor allem in den mittleren Frequenzbereichen.
Der Nightowl hat wie erwähnt einen wundervollen, wenn auch leicht "unsauberen" Bass, dieser kommt nach meinem Geschmack aber gegen die kontrollierte Intensität eines Magnetostaten wie dem El-8c nicht an.
Bei den Höhen hat der El-8c – wie die meisten Magnetostaten – um 7 kHz eine nicht unerhebliche Absenkung. Er vermag dies zwar gut zu verschleiern, doch bleibt es dennoch hörbar. Unwissenheit ist ein Segen und ein Fluch. Diese Schwäche hat der Nightowl trotz leicht zurückgezogenen Höhen nicht. Der Höhenbereich ist wunderbar und manchmal sogar funkelnd.
Erstaunlicherweise hat der Nightowl bei der Klangbühne und beim Imaging die Nase leicht vorn.
Beim Tragekomfort schneidet der El-8 am schlechtesten ab. Die Firma Audeze ist allgemein nicht für einen unbestrittenen Tragekomfort ihrer Produkte bekannt.
Nightowl vs. B&W P9
Der P9 wurde Ende 2016 auf avguide.ch ausführlich getestet.
Beide haben grundsätzlich einen sehr angenehmen Grundcharakter mit einem warmen Klangtimbre, wobei die Klangsignatur des P9 in der Mittellage doch noch ein Tick zurückhaltender ausfällt als bei der Nightowl. Bezüglich Transparenz und Feinstauflösung lieferen sich der P9 mit dem Nightowl ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem ich schlussendlich dem P9 den Sieg zuspreche.
Ein grosser Pluspunkt des P9 gegenüber dem Nightowl ist zudem die bessere Portabilität. Der Kopfhörer von Bowers & Wilkins ist elegant faltbar und somit geeignet für alle, die viel mit dem Kopfhörer unterwegs sind, ihn aber auch mal in die Tasche legen möchten. Der Nightowl kann nur seine gute Biegsamkeit vorweisen, lässt sich aber nicht falten.
Ganz anders sieht es beim Tragekomfort aus. Obwohl der P9 sehr komfortabel ist, bleibt der Nightowl in dieser Disziplin unter den mir bekannten ohrumschliessenden Kopfhörern ungeschlagen.
Nightowl versus LCD-X
Ganz klar hat der Nightowl einen Vorteil bei der Portabilität. Der LCD-X ist schwer und für Hartgesottene gerade noch transportabel. Ebenso punktet der Nightowl leicht bei den Höhen. Dies ist auch hier auf zwei kleine Dellen bei 5 kHz und 8 kHz beim LCD-X zurückzuführen.
Ab hier dominiert der Audeze LCD-X jedoch, wenn es um eine ausgewogene Klangsignatur geht. Er hat diesen natürlichen und analogen Klang, ohne sich die Schwäche des EL-8c gegenüber dem Nightowl in Sachen Detailliertheit zu geben. Bei der Klangbühne kann der Nightowl beinahe mithalten. Ich war diesbezüglich mehr als einmal verblüfft, dass es sich dabei um einen geschlossenen Kopfhörer handelt: Sensationell, wenn auch schlechter als beim LCD-X. Beim Imaging dominiert der LCD-X deutlich.
Beim Bass kann der Nightowl den LCD-X nur in der Quantität übertreffen.
Fazit

Der Nightowl ist ein fantastischer Kopfhörer für unterwegs. Er toppt für mich in vielen Musikgenres meinen bisherigen Favoriten unter den portablen Kopfhörern, den El-8. Das grösste Highlight ist der bisher unerreichte Tragekomfort bei einer mehr als respektablen klanglichen Leistung, die ich bis anhin bei offenen Kopfhörern suchen musste. Der Nightowl hat es geschafft, dass mein Finger mehr als einmal am Abzug zu einem Kauf für meine bereits überfüllte Kopfhörerkollektion gezuckt hat. Ein fantastisches Produkt, das auch im Duell mit mehrfach teureren Kopfhörern immer wieder für Überraschungen sorgen wird.
Es würde mich als Musikenthusiasten sehr freuen, in öffentlichen Verkehrsmitteln mehr Kopfhörer der Güteklasse des Audioquest Nightowl anzutreffen, anstatt der üblichen Standardprodukte. Ob der Nightowl sein Geld wert ist, und ob er den persönlichen Geschmack trifft, darüber kann sich jeder selbst ein Bild verschaffen. Für Pendler mit einer Vorliebe für zeitgenössische Musik kann ich für den Nightowl eine klare Kaufempfehlung aussprechen.
Hinweis: Das Testsample wurde avguide.ch vom Fachgeschäft K55 zur Verfügung gestellt.
Ungeschlagener Tragekomfort
Umweltbewusste Materialien
Etwas gewöhnungsbedürftig
Onlinelink:
https://avguide.ch/testbericht/audioquest-nightowl-im-test-mein-flug-auf-den-schwingen-der-nachteule