Gipfelstürmer?
Test des Mu-so 2nd Generation von Naim

Der britische Traditionshersteller Naim gehört seit Mitte der 1970er Jahre zu den eigenständigsten und auch eigenwilligsten Vertretern im Geschäft der hochwertigen Musikwiedergabe. Eigenständig bezüglich Klangphilosophie und eigenwillig in mancher Hinsicht: Lange Jahre gab es Naim-Komponenten nur mit DIN-Anschlüssen, während sich der Rest der Welt von DIN-Steckern in Richtung RCA (Cinch) verabschiedete. Eigenwillig auch in Bezug auf die Kabel: Sie stellten stets ihre eigenen «Strippen» her, die nicht einmal besonders auffällig oder kostspielig waren und mit Naim-Komponenten sehr gut harmonierten.
Eigenwillig auch in Bezug auf Stromkomponenten, mit denen man die bestehende Elektronik immer «upgraden» konnte und kann. Wer als Naim-Fan hinter der daraus resultierenden Gefahr der Geräteinflation eine beutelschneiderische Strategie vermutete, musste dennoch eingestehen, dass diese teuren Massnahmen wirkungsvoll waren und sind.
Naim gehörte aber auch zu den ersten Herstellern nebst Linn, die sich früh mit Musikspeicherung und Wiedergabe ab Festplatte beschäftigten. Bereits vor über 10 Jahren kam Naim mit wegweisenden Geräten auf den Markt. Deren Weiterentwicklung führte zu hoch integrierten All-in-One-Playern inkl. Verstärkung. Man brauchte nur noch ein Paar passive Lautsprecher dazu.
Mit dem Mu-so brachte Naim schliesslich ein All-in-One-System auf den Mark, welches nun als zweite Generation (Mu-so 2nd Generation) stark überarbeitet vorliegt. Es beinhaltet alles, all in one eben.
Naim erweiterte seine Kompetenz aber auch geschickt in Richtung Auto und Boot: Seit 2008 gibt es die Luxuskarossen von Bentley mit Musiksystemen von Naim und Motorjachten des Herstellers Princess mit Naim-Systemen an Bord für die stille Bucht. Damit wird die Marke Naim von einem Kundensegment entdeckt, welches sonst kaum auf den Gedanken käme, sich auf einen Brand einzulassen, der vorwiegend von audiophilen Musikhörern geschätzt und zuweilen fast religiös verehrt wird.

Anmutung und Verarbeitung
Der Mu-so 2nd Generation ist ein schweres Gerät mit einer beeindruckenden Anfassqualität. Das Innengehäuse ist eine sehr solide Kunststoff-Konstruktion, und das Aussengehäuse ist Alu mit einem durchgehenden Kühlkörper auf der Rückseite. Die abnehmbare Frontabdeckung besteht aus einem Kunststoffgitter mit attraktiver Stoffbespannung. Die Abdeckung hat eine schöne Wellenform und wird als Anthrazit-Ausführung geliefert. Drei weitere Farbvarianten sind als Zubehör bestellbar.
Die Bedienung am Gerät erfolgt über eine versenkte multifunktionale Bedieneinheit, eine Kombination aus Drehrad und Touchscreen mit attraktiver Beleuchtung, die bei Erhöhung der Lautstärke entsprechend heller wird. Will man das Gerät einschalten, braucht man nichts zu berühren. Man muss nur die Hand nahe über die Bedieneinheit schwenken. Für Fernbedienung steht die Naim-App und eine klassisch IR-Fernbedienung zur Verfügung. Dazu kommt ja nach Anwendung das jeweilige User-Interface von Roon & Co.
Das aktive und von einem DSP orchestrierte Stereo-Dreiwegsystem macht einen hochwertigen Eindruck. Die Hochton-Kalottentreiber mit Gewebekalotten stammen von Focal. Die dynamischen Konus-Mitteltontreiber sind aussen positioniert, gefolgt von den Hochtönern. Die beiden Langhub-Tieftöner mit Fasermembranen wirken sehr leistungsstark, und die strömungsoptimierte Bassreflexöffnung befindet sich auf der linken Schmalseite und wirkt gegen unten. Die Lautsprechertreiber «strahlen» alle direkt gegen vorne ab.
Unter der Bodenplatte befindet sich ein massiver Sockel aus Akryl, perfekt verarbeitet und sehr schön beleuchtet. Die gesamte Rückseite ist ein durchgängiger, dezenter Kühlkörper. Die Verarbeitung und Anmutung des Mu-so 2nd Generation von Naim ist schlicht überragend. Das ist High End im Kleinformat.





Technik und Bedienung
Mo-so 2nd Generation enthält eine vollständig neu entwickelte Streaming-Plattform für jede Herkunft von Musikdaten. Die Streamingdienste Spotify und Tidal sind bereits integriert. Dazu verfügt Mo-so 2 über ein ausgezeichnetes Webradio-Tool. Unter dem Ordner Naim's Choice findet man z.B. die besseren Internetradio-Stationen mit 320 kBit Übertragungsrate. Alles schon vorgemerkt.
Musik auf dem eigenen Netzwerk bzw. dessen Speicherorte findet man unter «Server», und USB-Festplatten können ebenfalls angeschlossen werden. Bluetooth, Airplay 2 und Chromecast sind auch mit dabei, und als Roon Endpoint kann Mo-so 2 ebenfalls eingesetzt werden. Am besten navigiert man mit der ausgezeichneten Naim-App auf einem Tablet oder iPad, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Bei den Einstellungen findet man unter dem Menüpunkt «Eingänge» auch die Möglichkeit, die Lippensynchronität einzustellen, falls man TV-Geräte analog oder digital an den Mo-so 2 anschliesst. Damit wird die vom DSP verursachte Latenz verringert, damit der Ton nicht dem Bild hinterhereilt, was vor allem bei der Nachrichtenmoderatorin immer etwas blöd aussieht.
Unter dem Menüpunkt «Audio» kann man die Maximallautstärke des Mo-so 2 verringern, denn auf Maximum kann das sehr laut werden, und es gibt auch eine Loudnesskorrektur für Leisehören sowie 3 Raumanpassungen für die üblichen Aufstellungsoptionen: Freistehen, wandnah und in einer Raumecke.
Das aktive Stereo-Dreiwegsystem arbeitet mit sechs 75-Watt-Class-D-Endstufen. Es stehen somit insgesamt 450 Watt Leistung zur Verfügung, und zwar direkt an den Treibern. Oder 2 x 225 Watt ohne passive Frequenzweichen im Weg. Das lässt ungefähr erahnen, was hier abgehen wird.
Die Class-D-Verstärker werden via DAC vom DSP punkto Frequenzspektrum, Phase und Linearität so orchestriert, dass es den Vorstellungen von Naim entspricht. Mehr können sie nicht tun. Das neue DSP verspricht, sehr leistungsfähig zu sein, insbesondere auch beim Limitter: Dabei geht es um die sensible Dynamikbegrenzung im Bassbereich bei hohen Pegeln, damit die Basstreiber nicht ausrasten.
Nach dem Download der Naim-App wurde ich durch das Setup geführt, und das funktionierte prima. Dann fand ich den Mu-so 2 auf Roon als Endpoint und konnte diesen anwählen. Ich habe alle Funktionen ausser Chromecast und Multiroombetrieb (in Ermangelung weiterer Naim-Geräte) kurz getestet. Der Hörtest erfolgte dann mit Roon.



Power & Glory

Bei All-in-One-Konzepten etablierter Marken ist nicht immer klar, ob es nur um einen Lifestyle-Ansatz mit Marken-Begleitung geht, oder ob die audiophilen Gene des Herstellers tatsächlich in das Lifestyle-Gerät übertragen wurden. Die Entwicklung solcher Geräte erfolgt oft fernab vom Markenhersteller selbst, gerne auch bei einem OEM (Original Equipment Manufacturer) und oft irgendwo im Reich der Mitte und nicht im abendländischen Umfeld der romantisch verklärten Manufaktur-Umgebung. Das ist halt meistens nur noch «dort, wo alles begann».
Das ist in der modernen Welt der Musikwiedergabe im Grunde egal. Wichtig ist saubere Arbeit von Entwicklern, die wissen, wie Musik klingen muss. Zu meiner grossen Erleichterung ist das beim Mu-so 2 eindeutig und unverrückbar der Fall. Mein Hörtest brachte die folgenden Erkenntnisse:
Der Mu-so 2 erzeugt eine unglaubliche Dynamik für ein Gerät dieser Grösse. Er spielt selbst bei 70 m2 Wohnfläche in fast jedem Fall laut genug und praktisch ohne hörbare Verzerrungen. Der Bassbereich ist umwerfend eindrücklich, überraschend präzise und trocken wie tiefreichend und darüber hinaus nicht so aufdringlich sichtbar, wie bei anderen Kandidaten, die es darauf anlegen, die Membranen bei der Arbeit zu präsentieren.
Die grosse Überraschung ist die Wiedergabe von Gesangsstimmen und vielen Instrumenten dank einem wirklich wunderbaren Mitteltonbereich. Dieses schwierige Spektrum, das die Gesamtheit der Musik so entscheidend beeinflusst und Emotionen erzeugt. Bravo! Insgesamt löst das Klanggeschehen auch sehr gut auf und das verliert sich bei hohen Pegeln nur langsam. Man kann den feinen Details bei ansteigender Lautstärke relativ lange folgen.
Resultat: Egal ob feingeistiger Barock mit viel Cembalo, grosse Orchester oder Elektro, wärmende Folk-Gesänge oder erdiger Blues, der Mu-so 2 liefert eine Vorstellung ab, die man so schnell nicht vergisst.
Der Mu-so 2 ist kein Hochstapler: Er macht das, was er «können kann», perfekt: Er kann keine grosse Klangbühne präsentieren, weil er kein grosses Stereosystem ist. Er produziert keine diffus angerührten Pseudo-Raumeffekte. Er verzichtet einfach darauf und erzeugt ein Musikgefühl, das irgendwie, wenn auch als gewagter Vergleich anzusehen, an die alten Juke-Boxen erinnert: Er rockt und swingt und man wippt mit den Turnschuhen.
Fazit

Der Mu-so 2 von Naim kostet 1699 CHF. Das ist bei dieser beeindruckenden Klangperformance, dieser extrem hochwertigen Verarbeitung, durchdachter Bedienung und grosser Funktionalität schlicht NICHT teuer.
Das Design ist für mich persönlich ein Wurf und Naim hat sich mit ihrem All-in-One-Gerät vermutlich ein kleines Denkmal geschaffen. Der Mu-so ist für alle, die hinhören und nicht weghören. Und wenn sie es trotzdem tun, dann dreht man auf, bis niemand mehr weghört.
Auf der deutschsprachigen Webseite finden Sie alle Informationen vorbildlich aufbereitet.
Sehr elegante Erscheinung
Hohe Verabeitungsqualität
Onlinelink:
https://avguide.ch/testbericht/gipfelstuermer-test-des-mu-so-2nd-generation-von-naim