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Publikationsdatum
15. August 2022
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Die im kalifornischen Sebastopol ansässige Produktionsfirma Mobile Fidelity – kurz MoFi – gehört zu den grossen Vinyl-Produzenten, die sich auf den Markt für Re-Issues (Neuauflagen) von bekannten Alben berühmter Interpreten spezialisiert hat. Ihre Kundschaft sind audiophile Schallplattenliebhaber auf der ganzen Welt. Bei MoFi gilt das Credo, dass die Masterbänder möglichst direkt und ohne digitale Prozessschritte für die Herstellung der besonders hochwertigen und teuren Schallplatten verwendet werden. Nun hat der Inhaber eines Schallplattengeschäfts in Phoenix namens Mike Esposito aufgedeckt, dass Mobile Fidelity bei zahlreichen Produktionen einen digitalen Prozessschritt eingebaut hat, wodurch der Hersteller ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem bekommt.

Die Grenzen beim One-Step-Prozess

Mobile Fidelity bietet die sogenannten One-Step Records an. Beim One-Step-Prozess wird ausgehend vom Masterband eine Lackfolie geschnitten und daraus ein Negativ, eine Metallfolie, abgezogen. Diese Metallfolie wird galvanisch verstärkt und direkt als Pressmatrize verwendet. Man kann damit nur 3500 bis 7500 Schallplatten pressen, aber die Qualität ist deutlich besser als beim klassischen Dreistufen-Prozess, auf den ich hier nicht näher eingehe.

Der Qualitätsvorteil des One-Step-Prozesses ist eindeutig: Die Metallfolie ist präziser, die Schallplatte klingt detaillierter und die Abspielgeräusche sind geringer. Nachteil: Bei grösseren Produktionsvolumen muss viel häufiger eine neue Lackfolie geschnitten werden als beim Dreistufen-Prozess. Das Masterband muss viel häufiger eingesetzt werden und wird stärker abgenutzt.

Um diese Nachteile zu vermeiden und mit einem One-Step-Prozess grössere Stückzahlen herzustellen, fertigte Mobile Fidelity bei zahlreichen Produktionen ein digitales Master des Masterbands an. Dafür wurde das Format 4-fach DSD eingesetzt. Die Lackfolien wurden dann ab diesem Digitalmaster geschnitten und nicht direkt ab dem analogen Masterband, wodurch Letzteres geschont wurde.

Der One-Step-Prozess ist qualitativ besser, jedoch weniger ökonomisch. Der Zwischenschritt eines Digitalmasters soll das Problem beheben, aber die Kunden erwarten ein Produkt, das gänzlich ohne digitale Prozessschritte auskommt. Das hat Mobile Fidelity jahrelang auch so versprochen und angepriesen.

Der One-Step-Prozess wurde ursprünglich so dargestellt (obere Bildhälfte).Der One-Step-Prozess wurde ursprünglich so dargestellt (obere Bildhälfte).
Die neue, korrigierte Darstellung des One-Step-Prozesses mit dem Symbol Quad DSD256 (obere Bildhälfte).Die neue, korrigierte Darstellung des One-Step-Prozesses mit dem Symbol Quad DSD256 (obere Bildhälfte).

Reaktion von Fachleuten

Fachleute aus der Musikproduktion sind sich uneinig: Digitale Prozessschritte seien qualitativ unbedenklich, sagen die einen. Die direkte Produktion ab dem Masterband klinge natürlicher, sagen die anderen. Gross sind die Unterschiede allerdings nicht: Mehrere Produktionen von MoFi One-Step, bei denen der digitale Prozessschritt angewandt wurde, befinden sich in den Listen der besten Re-Issues – oder generell Schallplatten – von Fachzeitschriften und Protagonisten wie Michael Fremer. Hätten sie von dem digitalen Prozessschritt gewusst, wäre ihr Urteil und ihre Klassierung vielleicht anders ausgefallen.

Einig ist man sich über die Praxis von MoFi: Das Unternehmen hat jahrelang ihre Kunden hinters Licht geführt, indem die Existenz eines digitalen Prozessschritts verschwiegen wurde. Es scheint eine aktive Praxis gewesen zu sein: MoFi publizierte den Produktionsprozess der Re-Issues bewusst nicht und kommunizierte aktiv ihre strikt analogen Prozesse. Vermutlich mit Bedacht: Ein prominenter MoFi-Kunde, der mehr als 50 Re-Issues von Mo-Fi besitzt, sagte aus, dass er keine einzige Schallplatte gekauft hätte, wenn er das gewusst hätte. Viele hätten das wohl auch so gesehen.

Ein PR-Debakel

Der Schallplattenhändler aus Phoenix brachte den Stein via Youtube ins Rollen. Woher er Wind bekam, weiss man nicht, aber bei Watergate gab es auch einen Informanten namens Deep Throat. Das Video landete auch bei MoFi, wo man ja Bescheid wusste. Esposito wurde zu Mobile Fidelity eingeladen, vermutlich um seine Zweifel zu zerstreuen. Er bezahlte den Flug selber und ging aus freien Stücken.

Der Besuch bei MoFi führte zu einem weiteren Youtube-Video, in dem Mitarbeiter von MoFi die «digitale Praxis» in geradezu unbeholfen lockerer Manier zugeben. Das war mit der Einladung von Esposito wahrscheinlich so nicht vorgesehen. Peinlich wurde es aber nicht nur für MoFi, sondern auch für einen der prominentesten US-Vinyl-Protagonisten und Fachjournalisten, der Esposito vorab der Lüge bezichtigt hatte und seine Kompetenz infrage stellte.

Mobile Fidelity hat sich mittlerweile bei den Kunden entschuldigt. Dafür, dass man die Käufer im Unwissen über diese Praxis liess und dass das ein grosser Fehler war. Auf die Qualität der Produktionen hätte die Praxis keinen Einfluss gehabt. Davon kann man wahrscheinlich ausgehen.

Die Firma sagte gegenüber der «Washington Post» aus, dass erstmals 2011 ein DSD-Prozessschritt bei einer Re-Issue eines Albums von Tony Bennett vorgenommen wurde. Die gesamte One-Step-Serie von MoFi soll mit nur einer Ausnahme den DSD-Prozessschritt enthalten. In Zukunft soll das bei allen One-Step-Produktionen der Fall sein und wird im «explainer sheet» künftiger One-Step-Produktionen gezeigt.

Unsere Meinung

Mobile Fidelity trägt die Schuld an dem Dilemma, in dem sich die Firma befindet. Doch es gibt ein übergeordnetes Dilemma: Es ist die weit verbreitete, ideologische Ablehnung von allem Digitalen bei den Liebhabern der sogenannten analogen Klangkultur. Diese sind angesprochen. Sie sollen akzeptieren, dass sie nicht alles haben können. Gute Masterbänder sind selten und müssen erhalten bleiben. Wenn man gleichzeitig eine grosse Nachfrage mit diesem raren Quellenmaterial befriedigen will, dann ist ein digitaler Prozessschritt durchaus angebracht, zumal das bis zur Offenlegung der Praxis ja niemand gemerkt hat.

Es gibt nicht nur Re-Issues. Warum sind die Leute so scharf auf die alten Songs von Santana et al.? Es gibt auch immer mehr moderne analoge Produktionen, für die man gutes Geld ausgeben kann, weil sie es wert sind. Genau damit unterstützt man die gewünschte analoge Zukunft der Musikwiedergabe. Mit dem Kauf der immergleichen alten Scheiben, neu aufgemotzt, kann kein analoges Tonstudio sein Geld verdienen – Vinyl-Boom hin oder her.

Meine MoFi-Scheiben klingen einfach toll. Das Know-how des Herstellers ist beeindruckend. Das Verschweigen der DSD-Praxis ist das eine, die aus meiner Sicht hohe Qualität das andere. Wem es auf die Musik ankommt, der kann über das Vinylgate ganz locker hinwegsehen. Und die DSD-Masters eignen sich später ja vielleicht auch noch ganz patent für Streamingdienste ...

Quellen: «The Washington Post», Facebook